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Der Geograph

Der Historiker Arno Peters hat in seiner weitverbreiteten "Synchronoptischen Weltgeschichte" bereits vor mehr als zwei Jahrzehnten ein von ihm ständig verbessertes und erweitertes universalgeschichtliches Werk erarbeitet. Es erscheint folgerichtig, daß Arno Peters, immer in großen zeitlichen Dimensionen denkend, nunmehr die globale Grundkomponente seiner Arbeitsweise auf die räumliche Ordnung der Erde anzuwenden versucht.
Wenn man einige Schritte von der von ihm erarbeiteten Weltkarte zurücktritt, kommt etwas Grundsätzliches in die Erinnerung, nämlich: Karten sollen anschauliche und zugleich exakte Raumvorstellungen vermitteln.
Dies ist die Hauptforderung, die der Nutzer stellt, das heißt, die wichtigste Person, um die sich die gesamte zweckgebundene Form kartographischer Gestaltung wie um einen Pol dreht. Man sollte größere Räume, im äußersten, heute fast täglich auftretenden Fall die ganze Erde, in der Ebene der kartographischen Zeichenfläche so darstellen, daß sie soweit wie möglich lebensbezogen bleiben. Der Durchschnittsmensch denkt wohl kaum ungeistiger, jedoch gewiß weniger systematisch als es der wissenschaftlich verfahrende Kartograph bei seiner schwierigen Arbeit zu tun gezwungen ist. Konventionelle Formen der kartographischen Darstellung ziehen sich durch die Geschichte der Gradnetzentwürfe bis mitten in die Gegenwart hinein. Das immer erneut verfolgte Ziel ist die exakte Wiedergabe des sphärischen, dreidimensionalen Erdbildes in der Fläche einer Karte, seien es kleine oder große Räume oder auch die ganze Erdoberfläche, also Erdkarten. Von letzteren soll hier zum besseren Verständnis der Peters-Projektion allein die Rede sein.
Es interessiert den Nutzer einer Erdkarte meist wenig, auf welchem Wege das Gradnetz einer Karte gewonnen wurde. In vielen Atlanten wird der Name desjenigen, der die verwendete Gradnetz-Projektion ersann, nicht einmal genannt, was zweifellos nicht richtig ist. Es sind Hunderte von Projektionen möglich. Man kann sie, sofern sie mathematisch einwandfrei konstruiert wurden, nicht unter dem Gesichtspunkt "richtig oder falsch", sondern nur unter der Fragestellung "zweckmäßig oder unzweckmäßig" beurteilen. Sie sind kartographisch und geographisch voll begründbar, wenn die Eigenschaften, die sie mittels der gewählten und ersonnenen mathematischen Konstruktionsverfahren auszeichnen, einem ganz bestimmten Zweck am besten entsprechen. Arno Peters ging es, wie ein Blick auf seine Erdkarte zeigt, offenkundig darum, die mehr als 150 Staaten, die sich gegenwärtig in sehr verschiedenem Umfang in die Erdoberfläche teilen, nach ihrer Flächengröße und zugleich winkeltreu darzustellen. Es steht hinter seinem Entwurf eine ganz bestimmte Denkhaltung. Wahrscheinlich aus einem verständlichen Unbehagen heraus, daß die Ergebnisse seiner Arbeiten zur synchronoptischen Universalgeschichte sich nicht optimal in eine der vielen, seit mehr als 4 Jahrhunderten bestehenden Projektionen optimal einfügen ließen, griff er gleichsam zur wissenschaftlichen Not und Selbsthilfe. Man versteht dies besser, wenn man die in ihrer Art ausgezeichneten, immer erneut verbesserten traditionellen Netzentwürfe für Erdkarten unter diesem Gesichtspunkt mustert. Eine lange Reihe wäre hier aufzuführen. Sie führt von der erwähnten, berühmten, in der Schiffahrt wegen ihrer Winkeltreue noch heute gebräuchlichen Karte Mercators (1659) über die flächentreue, herzförmige Erddarstellung von Bonne aus dem Jahre 1752 bis zu den von den Geographen des 19. Jahrhunderts geforderten flächentreuen Karten, die u.a. Mollweide (1805) und Hammer (1892) schufen. Durch relativ geringe Formverzerrungen zeichnete sich die nur angenähert, aber mathematisch nicht exakt vermittelnde Tripelprojektion 0. Winkels aus. Karlheinz Wagner verband die Vorzüge der Winkelschen Projektion, die 1934 erschien, mit der Eigenschaft wirklicher Flächentreue, ohne daß dieses Gradnetz von den Fachgeographen in größerem Umfang verwendet wurde. Zerlappte Netze, wie sie zum Beispiel Hans Boesch in Form der von W. Briesemeister entworfenen Projektion in seinem "Wirtschaftsgeographischen Atlas" (1968) verwendete, sind zwar flächentreu, entsprechen aber, wie sämtliche bisher genannten und alle dem Verfasser bekannten Netzentwürfe nicht den Anforderungen, deren Erfüllung sich Arno Peters zum Ziel setzte, nämlich eine Erdkarte, die Flächentreue und Winkeltreue gleichermaßen gewährleistet. Und nicht nur dies. Der Äquator sollte nach den Vorstellungen von Arno Peters in der Kartenmitte abgebildet werden. Lagetreue und Achstreue sollten erhalten werden, so daß Orte gleicher geographischer Länge auf einer Senkrechten liegen und Orte gleicher geographischer Höhe auf einer waagerechten Geraden, die parallel zum Äquator läuft.
Für den Fachmann ist es selbstverständlich, daß solche Vorzüge nur mit der bewußten Einbeziehung bestimmter Nachteile erzielt werden können. Der Akzent liegt hier auf dem Adjektiv "bewußt". Denn eine starke Formverzerrung am Äquator, der eine formtreue Wiedergabe der heutigen Schwerpunkt
räume von Industrie und Bevölkerung in den europäischen Breiten gegenübersteht, steht zwar in scheinbarem Widerspruch zu dem althergewohnten Kartenbild, das Gebiete wie Südamerika und Afrika nicht in ihrer wirklichen Größe, dafür jedoch weniger verzerrt darstellt. Aber gerade in dieser "Schwäche" der Peters"schen Projektion verbirgt sich eine ihrer Stärken. Dem Nutzer wird die wahre Flächengröße der tropischen Entwicklungsländer, die jeden Tag mehr in das Zentrum des weltpolitischen Interesses treten, geradezu drastisch vor Augen geführt. Das ist nicht zuletzt auch im Hinblick auf thematische Darstellungen der verschiedensten Art, besonders der von der Natur dargebotenen und wirtschaftlich genutzten bzw. von den Entwicklungsländern im Verein mit den entwickelten Staaten zu lösenden Ressourcenprobleme, sehr wichtig.
Überdies wird die Vergleichbarkeit, durchaus projektionsbedingt, durch die Peters-Karte in einer Richtung erhöht, die, wiederum bewußt, auf die ellipsoide Anpassung des Gradnetzes an die kugelartige Erdgestalt verzichtet. Das dürfte, von der Konzeption der Erdkarte her gesehen, durchaus dem Nutzer zumutbar sein. Denn wohl jeglicher Benutzer einer Erdkarte weiß so schwer einzusehen dies gewiß zur Zeit eines Eratosthenes und noch in unserem Mittelalter war " daß die Erde in der Tat jene Kugel ist, als welche sie sich heute auf Tausenden von Satellitenphotos abbildet. So rechtfertigt sich auch durchaus die Darstellung der Erde im rechteckigen Rahmen, die schon Mercator bevorzugte. Bei der Peters-Projektion, die nach völlig anderen Grundsätzen auf Grund der verschiedenen Zielsetzungen konstruiert wurde, geschieht dies, um thematische Grundqualitäten unter einem ganz neuen, fruchtbaren, anregenden Aspekt vor das Auge des Betrachters zu stellen. Nur wenn die Erdkarte von Arno Peters gegen Gesetzlichkeiten der kartographischen Entwurfstechnik verstoßen würde, wäre eine Art wissenschaftlichen Vetos denkbar. Das aber ist nicht der Fall. Die Nutzer, ob Fachmann oder Laie, werden darüber zu entscheiden haben, ob ihnen auf der Grundlage der Peters-Projektion Erkenntnisse vermittelt werden, die sie bisher nicht in gleich eindringlicher Weise Erdkarten entnehmen konnten. Man übersehe auch nicht die große Bedeutung des psychologischen Faktors in der wissenschaftlichen Forschung wie in der kartographischen Darstellung. Die Projektion, die in engster Verbindung zu Arno Peters' allgemeinem Ziele einer Überwindung unseres noch immer viel zu europazentrischen Weltbildes zu sehen ist, dürfte für einen sehr breiten Nutzerkreis von hohem Nutzen sein.

Unterschrift
(Prof. Dr. D . Edgar Lehmann)
Ordinarius für Geographie
und langjähriger Vizepräsident
der Deutschen Gesellschaft für Kartographie*)

*) Professor Dr. Edgar Lehmann wurde für seine Verdienste um die Kartographie von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.

 

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Datum der letzten Aktualisierung: 25. Januar 2001