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Der Meeresforscher


Die Oberfläche der Erde ist durch eine riesige Wasserfläche gekennzeichnet, auf der sich einige große Inseln befinden: unsere sechs Kontinente. Die Wasserbedeckung unseres Planeten macht fast 3/4 der Erdoberfläche aus (71%), das Land nimmt insgesamt also nur 29% ein.
Der Meeresforscher muß die Brauchbarkeit einer Erdkarte deshalb daran messen, ob diese Grundtatsache der Geographie auf ihr eindeutig zur Anschauung gelangt. Leider ließen ihn bisher fast alle Karten im Stich, wofür zwei wesentliche Gründe verantwortlich sind. Einmal ist die Darstellung einer wirklichkeitsgetreuen Abbildung der Erdkugel auf einem Blatt Papier keine einfache Aufgabe, zum anderen ist das Wissen um die wahre Gestalt unserer Erde erst weniger als hundert Jahre alt. In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts wurde mit der Erforschung der Polargebiete erst Klarheit darüber geschaffen, daß sich am Nordpol überhaupt kein Land befindet und am Südpol nur eine Insel, deren Größe weniger als 3% der Erdoberfläche ausmacht.
Somit war erst nach Abschluß der Entdeckerzeit der Weg für die Schaffung einer Erdkarte frei, die der fundamentalen Tatsache klar Ausdruck gibt, daß 71% der Erdoberfläche von einem großen, zusammenhängenden Weltmeer bedeckt ist. Eine solche Karte liegt nun vor: Die von Arno Peters geschaffene Weltkarte stellt das Meer/Land Verhältnis flächenrichtig dar, und sie gibt uns durch ihre Projektionsweise auch das Bewußtsein der unendlichen Weite des einen großen Weltmeeres gegenüber den Kontinenten, die hier tatsächlich als Inseln in Erscheinung treten. Auch die wichtige Tatsache, daß auf der südlichen Erdhälfte mehr als 80% von Wasser bedeckt sind, kommt auf der Peters-Karte hervorragend zur Anschauung. Indem außer dem Südkontinent (Australien) nur die südliche Hälfte von Afrika und Südamerika schlank in die südliche Erdhälfte hineinragen, wird die alles beherrschende Bedeutung des Meeres hier besonders offenkundig. Auf der nördlichen Erdhälfte ist es die Rechtschnittigkeit des Gradnetzes, die uns durch den weit offenen Nordatlantik den Inselcharakter der Kontinente auch in unserer eigenen Hemisphäre begreifen läßt.
Die Peters-Karte kommt gerade rechtzeitig, um auch die Hinwendung des Menschen zum Meere mitzutragen und zu fördern. Durch die Erkenntnisse der Erdwissenschaften beginnt der Mensch in unserer Epoche zu begreifen, daß er das sein Leben begünstigende Klima dem starken Überwiegen der Meeresfläche gegenüber der Landfläche verdankt, daß eine Verminderung der unser Wetter bestimmenden Verdunstungsfläche des Meeres unser Klima also fundamental verändern würde. Auch die einsetzende Erkenntnis, daß wir aufhören müssen, unsere löslichen Abfallstoffe gedankenlos ins Meer zu leiten, weil wir dadurch unsere eigene Lebensgrundlage gefährden, hilft dem aufkommenden Bewußtsein von der Bedeutung des Meeres. Dieses Bewußtsein wird gestärkt durch die sich häufenden Hinweise auf noch ungenutzte Ressourcen des Meeres denn die Gewinnung von Energie, Nahrung und Rohstoffen aus dem Meere läßt den auf Nützlichkeit gerichteten Sinn des Gegenwartsmenschen den Wert des Weltmeeres besonders leicht erkennen. Auch der längst im Gange befindliche Kampf um die Rechte an den Ressourcen des Meeres (Seerechtskonferenzen etc.) läßt uns die täglich wachsende Bedeutung des Meeres verstehen, die für den weltweiten Handel wie für die militärische Strategie sich längst erwiesen hat. Ein Blick auf die Peters-Karte, auf der endlich auch die Länder der Dritten Welt in ihrer weltumfassenden und im Kartenbild zentralen Stellung zur Anschauung gebracht werden, macht mehr als das Studium der herkömmlichen Karten klar, daß diese jungen Völker auf Grund ihrer geographischen Lage die großen Gewinner des Ringens um die Ressourcen des Meeres sein werden und damit vielleicht die Völker von morgen.
So kommt die Peters-Karte wohl nicht zufällig in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, einer Epoche, in der das Wissen um die Bedeutung des Meeres sich ebenso Bahn bricht, wie das Bewußtsein des unaufhaltsamen Aufstiegs der farbigen Völker. Die Darstellung ihrer Lebensräume wurde auf herkömmlichen Karten ebenso stiefmütterlich behandelt wie der Anteil der Meeresfläche auf unserem Planeten, obwohl doch die tatsächliche Gestalt der Erdoberfläche nun schon seit geraumer Zeit erforscht und vermessen ist.
In diesem Zusammenhang zeigt ein Blick in die Geschichte, daß unser geographisches Weltbild schon seit jeher nicht unbedingt mit dem jeweils neuesten Kenntnisstand der Erforschung der Erdoberfläche übereingestimmt hat. Für seinen objektiven Fortschritt ist der Anteil der Meeresfläche an der Gesamtfläche der jeweiligen Erdkarten ein untrüglicher Indikator.
Der Grieche Hekataios stellte um 490v in die Mitte seiner Erdkarte Griechenland und die sein Heimatland umgebenden Länder. Das Mittelmeer liegt als Binnengewässer dazwischen, und rund um die großen Landmassen erstreckt sich das Meer, auf dem die von ihm als Scheibe gedachte Erde schwimmt.
Die Meeresfläche machte ein Drittel seiner Kartenfläche aus, zwei Drittel waren Land. Und bei diesem Verhältnis blieb es lange.
Erst Eratosthenes, Bibliothekar in Alexandria (Nordafrika), änderte grundlegend dieses Weltbild. Er bewies durch Messungen die Kugelgestalt der Erde und berechnete ihren Umfang so genau, daß erst in unserem Jahrhundert eine Abweichung von weniger als 1% festgestellt werden konnte. Seine Erdkarte (222v) gab den Meeresmassen erstmals den gleichen Raum wie den Landmassen, die Hälfte seiner Erdkarte ist also Wasserfläche. Leider setzte er sich mit seinen Erkenntnissen nicht durch, sein Nachfolger Ptolemäus schuf fast 300 Jahre später jenes Weltbild, das mehr als ein Jahrtausend unser Denken beherrschte. Auf seiner im Jahre 150v geschaffenen Erdkarte ist das Meer wieder auf ein Drittel der Kartenfläche zusammengedrückt, die Erde wird vom Land beherrscht, das zwei Drittel der Kartenfläche einnimmt.
Aber es sollte noch schlimmer kommen: Nach der jüdischen Überlieferung (4. Buch Esra) hatte Gott nur ein Siebentel der Erde mit Wasser bedeckt, sechs Siebentel aber als trockenes Land dem Menschen zum Bepflanzen überlassen. Das Mittelalter hielt (mit dem jüdischchristlichen Weltbilde) auch diese Überlieferung fest. So geben die Erdkarten des Mittelalters (bei wunderschönster Ausführung) nur ein gutes Zehntel ihrer Kartenfläche dem Meer: Die Londoner Psalterkarte (um 1225n), die Ebsdorfer Erdkarte (um 1250n), die Karte von Vesconte (um 1320n) zeigen wie alle Karten dieser Epoche fast 90% der Erde als Landmasse. Das änderte sich erst im Zeitalter der Entdeckungen.
Die Erdkarte des Hieronymus Marini (1512n) gab endlich wieder fast die Hälfte der Kartenfläche dem Meer: Genau 46% seiner Karte sind Wasserfläche. Und 57 Jahre später überstieg zuerst auf einer Karte die Wasserfläche die Landmasse. Auf Mercators Erdkarte, die er im Jahre 1569n schuf, nimmt das Meer 51% ein. Seine für seine Zeit fortschrittliche und formschöne Karte prägte dann bis in unsere Zeit das geographische Weltbild. Auch das Fernsehen bediente sich, wie die Atlanten, ihrer bis vor wenigen Jahren und ersetzte sie dann durch die 1904 entstandene van der Grinten-Karte, auf der die Meeresfläche 54% ausmacht.
Der Meeresforscher, für den die Verteilung Land/Meer Indikator für die objektive Richtigkeit einer Erdkarte ist, kann nur sein Erstaunen darüber ausdrücken, daß eine so fortschrittliche Einrichtung wie das Fernsehen an dieser van der Grinten-Karte festhält, die so wenig von der Mercator-Karte mit ihren schrecklichen Flächenverzerrungen abweicht, wie sie das Meer getreuer wiedergibt: Um 3%.
Es ist verständlich, daß vom Fernsehen und von den AtlasVerlegern nicht eine der zahlreichen flächentreuen Entwürfe mit gebogenem Gradnetz (und entsprechender Verzerrung der Himmelsrichtungen) an die Stelle des überholten Weltbildes gesetzt wurde, weil diese Erdkarten (Bonne, Hammer, Mollweide, Winkel, Goode) einen Mittelmeridian bevorzugen und die Länder am Kartenrand seitlich stauchen. Sie sind für eine weltweite Nachrichtendarstellung ungeeignet und werden deshalb auch von der Öffentlichkeit nicht angenommen. Nach dem schnellen Siegeslauf der in mehrfacher Hinsicht den herkömmlichen Erdkarten überlegenen Peters-Karte in vielen Ländern der Erde befürworte ich ihren baldigen Einsatz in unseren Schulen, in der Publizistik und im Fernsehen.

Unterschrift
(Prof. Dr. Günther Krause)
Institut für Meeresforschung
Bremerhaven

 

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Datum der letzten Aktualisierung: 25. Januar 2001