Der Historiker
Die Weltkarte ist historisch gesehen stets der unmittelbarste Ausdruck unseres Weltbildes
gewesen. Vor fast 3000 Jahren wurde in Mesopotamien jene Karte in Ton geritzt, die unsere
Erde als runde Scheibe im Weltmeer schwimmend darstellt. Diese Karte überwand mythische
Vorstellungen von der Erde als Lotosblüte, als Baumstumpf, als vom Himmel gefallenes
Krokodil. Und sie wurde selbst in den folgenden Jahrhunderten überwunden von den immer
wirklichkeitsgetreueren Erdkarten der Griechen bis zur Weltkarte des Eratosthenes, der in
Alexandria die Kugelgestalt der Erde durch eine Erdmessung bewies, die um weniger als 1
Prozent von der wirklichen Erdgröße abwich.
Doch die Römer kehrten zur Vorstellung der Erde als einer runden, im Meere ruhenden
Scheibe zurück; Plinius und Cicero, Sallust und Lukrez lehrten dieses Weltbild, das von
den entsprechenden Erdkarten getragen wurde. Nur in Alexandria lebte das wissenschaftliche
Weltbild des Eratosthenes fort, und hier zeichnete Ptolemäus auch seine richtungweisende
Erdkarte. Doch schon 200 Jahre später verwarf der Kirchenvater Laktantius die
Kugelgestalt der Erde, und nach abermals 200 Jahren führte der Erzbischof Isidor von
Sevilla die gläubige Christenheit für ein Jahrtausend zum "natürlichen
Weltbild" zurück, zur Vorstellung von der Erde als einer kreisrunden Scheibe. Noch
Kolumbus lehnte die Kugelgestalt ab, für ihn hatte die Erde die Gestalt einer Birne oder
einer weiblichen Brust.
Als 1522 nach dreijähriger Weltumsegelung (und Entdeckung des Pazifischen Ozeans) eines
der Schiffe aus Magellans Flotte nach Sevilla zurückkehrte, war an der Kugelgestalt der
Erde nicht mehr zu zweifeln. Jahrtausende lang war den Menschen weniger als 10 Prozent der
Erdoberfläche bekannt gewesen, nun kannte man in wenigen Jahrzehnten mehr als die Hälfte
der Erde. Neue Karten suchten das neue Weltbild zu fassen und darzustellen. Martin
Waldseemüller, Peter Apian, Benedetto Bordone versuchten das Weltbild der Neuzeit zu
prägen. Aber erst der aus Flandern stammende deutsche Kartograph Mercator schuf die
nächste Seite im Buche der Geschichte unseres Weltbildes. Eigentlich für Seefahrer
gemacht, entsprach seine Weltkarte der Gesinnung des anbrechenden Zeitalters der
Europäisierung der Erde. Deutschland stand auf seiner Karte beherrschend im Mittelpunkt
der Welt, obwohl es in Wahrheit ein kleines Land im nördlichsten Viertel der Erde ist;
ganz Europa die Welt des weißen Mannes, war übermäßig groß und mächtig dargestellt;
die Länder, in denen die farbigen Völker zuhause sind, wurden dafür verkleinert und in
die untere Hälfte der Karte verbannt, obwohl sie überwiegend in der nördlichen
Erdhälfte zuhause sind. So prägte die Mercator-Karte unser Weltbild bis in die Gegenwart
hinein auch das Weltbild der farbigen Völker, die machtpolitisch, wirtschaftlich und
kulturell von Europa beherrscht wurden.
Als in unserer Epoche die Kolonialherrschaft der europäischen Mächte zerbröckelte,
verlor sich die alleinige Gültigkeit der Mercator-Karte, die fast vier Jahrhunderte lang
Ausdruck und prägende Grundlage unseres Weltbildes gewesen ist. Und die Kartographie, zu
einer neben Geographie und Geodäsie nach Selbständigkeit strebenden Wissenschaft
erwachsen, suchte die schlimmsten Entstellungen der Wirklichkeit abzumildern. Aber, in den
Lehrsätzen ihrer Zunft befangen, vermochten die Kartographen nicht, das neue Weltbild zu
schaffen, das Ausdruck unserer Epoche sein kann:
"Aitoff, van der Grinten, Winkel, Robinson schufen "vermittelnde"
Kartennetze, die nicht flächentreu sind, den europazentrischen Charakter der
Mercator-Karte vermindern aber nicht beseitigen; Bonne, Hammer, Goode, Wagner schufen
flächentreue Kartennetze, die aber wegen ihrer fehlenden Winkeltreue die natürliche
Nord-Süd und Ost-West Achse preisgeben und dadurch der Mercator-Karte ihre klare
Orientierung (Achstreue) und ihre wirklichkeitsgetreue Klimalage (Lagetreue) nehmen.
Nun hat ein Nicht-Kartograph eine neue Seite im Buche unseres geographischen Weltbildes
aufgeschlagen: Der deutsche Universalhistoriker Arno Peters hat mit allen Lehrsätzen der
Schulkartographie gebrochen. Er warf das herkömmliche Gradnetz zum alten Eisen und
ersetzte es durch ein Dezimal-Gradnetz. Er teilte die Erde einmal vom Nordpol zum Südpol
und einmal rund um den Äquator durch 100 einander rechtwinklig schneidende Linien,
quadrierte die so entstandenen 100 Rechtecke jeweils längs des Äquators und baute darauf
rechtwinklig und flächentreu die übrigen Rechtecke seines Gradnetzes. So erhielt er ein
Kartennetz, das flächentreu und winkeltreu ist; auf seiner Karte steht nicht mehr Europa
und Nordamerika im Mittelpunkt der Welt sondern Afrika, Südostasien und Mittelamerika.
Alle Länder sind entsprechend ihrer wirklichen Größe lagetreu abgebildet, die für die
Orientierung so wichtige Nord-Süd Richtung ist erhalten, die unerläßlichen Verzerrungen
sind in weniger dicht besiedelte Gebiete der Erde verlegt.
Damit hat das posteuropäische Zeitalter, in das wir eintreten, sein Weltbild. Zeigte die
erste Weltkarte vor 3000 Jahren Babylon im Mittelpunkt der Karte, so war es bei den
Griechen meist Delphi, bei den
Arabern Mekka, bei den Christen Jerusalem und bei den Europäern der Neuzeit Mitteleuropa,
meist Deutschland. Die Peters-Karte überwindet endgültig alle Europa-Bezogenheit und
gibt in ihrer wirklichkeitsgetreuen Darstellung aller Länder der Erde ein so objektives
Weltbild, wie es dem wissenschaftlichen Zeitalter entspricht, in das wir eintreten.
Daß ein Historiker dies neue Weltbild geschaffen hat, kann nur Kartographen wundern. Ist
doch die Schaffung eines neuen geographischen Weltbildes zu allen Zeiten nicht primär
eine mathematischhandwerkliche Arbeit gewesen, sondern eine geistigschöpferische
Leistung. Seit der Philosoph Anaximander das erste geographische Weltbild der Griechen
schuf, waren es nicht Kartographen, mit deren Schöpfungen die großen Schritte des
Weltbildes verbunden waren: Der Historiker Hekataios fügte dem Kartenbilde die
Orientierung nach Himmelsrichtungen hinzu. Seine Weltkarte wurde von dem Historiker
Herodot dadurch überwunden, daß er mit der Vorstellung brach, die bewohnte Erde
(Oekumene) sei kreisförmig. . .und also seine Karte nicht mehr rund gestaltete. Der
Historiker Ephoros bildete dann endlich die Erde auf einem rechteckigen Kartenblatt mit
einem Seitenverhältnis von 3:2 ab. Was dieser erste griechische Universalhistoriker vor
mehr als 2300 Jahren wußte (und Mercator noch in seiner Karte verwirklichte) haben die
Kartographen unserer Epoche vergessen, oder sie glaubten, sich darüber hinwegsetzen zu
können: Eine Erdkarte muß rechtwinklig sein (was nur ein anderes Wort dafür ist, daß
die Nord-Süd Richtung und die Lagetreue auf der ganzen Karte gewahrt sind) und die
Proportionen von Kartenhöhe und Kartenbreite muß harmonisch sein. Diese sachlichen und
ästhetischen Forderungen seines griechischen Kollegen Ephoros hat der Historiker Arno
Peters verwirklicht und er hat seiner Karte jene Qualität zugefügt, die in unserer
Epoche unerläßlich ist: Die Flächentreue, das heißt: Die paritätische Abbildung der
ganzen Erde.
Wie immer in der Vergangenheit ist auch heute das neue Weltbild Ausdruck und Vehikel der
neuen Epoche. Nachdem Arno Peters mit seiner "Synchronoptischen Weltgeschichte"
die Europa-Bezogenheit unseres bisherigen Weltbildes von der historischen Seite her
überwunden hatte, mußte er sein universales Weltbild nun auch in die anschaulichste,
knappste und allgemeinverständlichste Form gießen: Die Karte.
Ich befürworte die Verwendung der Peters-Projektion für Wandkarten und Atlanten (wo es
bisher keine Karten gibt, deren Netz Flächentreue und Winkeltreue verbindet) in Presse
und Fernsehen (wo die wirklichkeitsgetreue Darstellung von Lage und Größe aller Länder
ein Gebot der publizistischen Fairness ist) sowie in der historischen Geographie (wo das
Fehlen von Flächentreue und Winkeltreue die Objektivität der Darstellung heute noch
beeinträchtigt). Ich glaube, daß der Peters-Projektion eine wichtige Rolle bei der
Heraufführung eines universellen, humanistischen Weltbildes zufällt. Ihre
völkerversöhnende, die europabezogene Enge unseres gestrigen Weltbildes sprengende
Wirkung liegt ganz im Sinne der allgemeinen Bestrebungen meiner eigenen Arbeiten.
Unterschrift
(Prof. Dr. Fritz Fischer)
Ordinarius für Geschichte
an der Universität Hamburg
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Datum der letzten Aktualisierung: 25. Januar 2001