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Der Physiker


Der deutsche Historiker Arno Peters hat in unseren Tagen eine neue Erdkarte geschaffen, die geeignet ist, unser geographisches Weltbild endlich der Wirklichkeit anzugleichen. Dieser Schritt erscheint heute dringend geboten.
Die Entwicklung unseres physikalischen Weltbildes ist auf vielfältige Weise mit der Entwicklung unseres allgemeinen Weltbildes verbunden, mit unserem geographischen Weltbilde gibt es eine unmittelbare historische Beziehung.
Die Vorstellung von der Erde als einer runden Scheibe, wie sie dem unmittelbaren Augenschein entspricht, prägte bis vor 500 Jahren unser Weltbild. Wahrscheinlich hat Pythagoras vor etwa 2500 Jahren zuerst den Gedanken geäußert, daß unsere Erde eine Kugel sei; aber er hatte keinen Beweis dafür geliefert, hatte seine Überlegungen nur auf ästhetische Auffassungen gestützt: Weil die Kugel die vollendetet Form sei, müsse die Erde wohl auch eine Kugel sein. So blieben die Erdkarten, die es seit 3000 Jahren gibt, kreisrund, wie man sich die Erdscheibe allgemein vorstellte, mit der Landmasse in der Mitte und dem Weltmeere als Umrandung.
Weitgereiste Gelehrte wie Herodot blieben bei dem Bilde der runden Erdscheibe und zeichneten ihre Erdkarten ebenso. Sogar Naturwissenschaftler wie Demokrit, der mit seinem Atomismus das physikalische Weltbild gewaltig vorantrieb, hielten daran fest.
Erst zweihundert Jahre später bewies der griechische Naturwissenschaftler Eratosthenes durch exakte Messung des Einfallwinkels der Sonnenstrahlen in Alexandria und Assuan den Kugelcharakter der Erde, bestimmte ihren Umfang mit über 99 prozentiger Genauigkeit und zeichnete die erste rechteckige Erdkarte. Damit war die mit der runden Erdkarte verbundene Vorstellung von der kreisförmigen Erdscheibe überwunden.
Aber es dauerte noch fast zwei Jahrtausende, bis sich das Weltbild des Eratosthenes durchsetzte. Die Römer zerstörten seine Forschungsstätte in Alexandria und kehrten zum alten Weltbilde zurück. Cicero, Sallust, Lukrez und selbst ein naturwissenschaftlicher Denker wie Plinius verkündeten weiterhin, die Erde sei eine runde Scheibe, und die Kartographen zeichneten ihre Karten entsprechend kreisrund.
Nachdem der Kirchenvater Laktantius im 4. Jahrhundert die Kugelgestalt der Erde als physikalisch unmöglich erklärt hatte, war das alte Erdbild für das folgende christliche Jahrtausend festgeschrieben:
der Erzbischoff von Sevilla kehrte endgültig zur Vorstellung der flachen Erdscheibe zurück, die kreisrunde Erdkarte war damit fürs ganze Mittelalter festgeschrieben.
Dieses Weltbild entsprach dem natürlichen Augenschein und wurde dank der Autorität der Kirche solange aufrechterhalten, wie die Kenntnis der Erdoberfläche sich nicht ausweitete. Bis ins 15. Jahrhundert hinein waren auf den Erdkarten der Antike und des Mittelalters weniger als 10 Prozent der Erdoberfläche dargestellt. Erst das Zeitalter der Entdeckungen brachte dieses Weltbild endgültig zum Einsturz. Aber nur zögernd brach sich die Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde Bahn. Kolumbus hatte schon die Vorstellung von einer gerundeten Erdoberfläche, dachte aber an die Gestalt einer Birne oder einer weiblichen Brust. Nachdem aber ein Schiff aus der Flotte Magellans nach vollendeter Erdumseglung heimkehrte, ahnten einige Menschen die wirkliche Größe und Gestalt der Erde.
Mercator gab diesem neuzeitlichen Weltbilde kartographischen Ausdruck. Seine Erdkarte prägte das geographische Weltbild des Menschen bis in unsere Tage. Sie war rechteckig, gab ein klares Kartenbild, stellte die Nord-Süd-Richtung überall senkrecht dar und ordnete alle Orte gleicher Klimalage auf einer parallel zum Äquator verlaufenden Geraden an. Diese Achstreue und Lagetreue war es, die sie bis in unser Jahrhundert hinein zum bestimmenden Erdbild machte nicht ihre europazentrischen Betrachtungsweise.
Betrachtet man nämlich die Erdkarten, die nach Mercator kamen, genau, so erkennt man, daß alle diese Karten nicht aus politischen sondern aus rein mathematischen Gründen keine Chance gegen die Mercator-Karte hatten: Sanson, Bonne, Hammer, Mollweide, Aitoff, van der Grinten, Robinson, Winkel sie alle machten Karten, die die groben Flächenverzerrungen zugunsten der von den weißen Völkern bewohnten Länder abmilderten oder beseitigten. Aber keine von ihnen erhielt die rechteckige Form der Mercator-Karte, das Kartenbild der Erde wurde auf ihnen wieder gerundet. Damit stellten sie in mehrfacher Hinsicht einen Rückschritt gegenüber der Mercator-Karte dar, ihnen allen fehlte mit der Lagetreue und Achstreue das klare Kartenbild. So spricht es für das Urteilsvermögen der Öffentlichkeit, daß sie sich allen diesen Versuchen eines Rückfalls in die Zeit der gerundeten Karten und der mit
ihnen verbundenen Vorstellung von der Erde als einer kreisrunden Scheibe verschloß und an der Mercator-Karte festhielt.

Nachdem in unserer Epoche nun aber die von den farbigen Völkern bewohnten Länder und Erdteile als gleichberechtigte Partner in die große Völkerfamilie eingetreten sind, ist die schlimme Flächenverzerrung der Mercator-Karte zu einem so großen Mangel geworden, daß wir von ihr Abschied nehmen müssen. Wir können das geographische Weltbild unserer Generation und der heranwachsenden Jugend nicht mehr von einer Karte formen lassen auf der Europa größer erscheint als das in Wirklichkeit fast doppelt so große Südamerika, oder die Sowjetunion fast dreimal größer als das ihr in Wahrheit an Fläche überlegene Afrika, oder Grönland zehnmal so groß wie die diese Insel an Größe weit überragende arabische Halbinsel.

Ganz abwegig aber ist es, wenn nun andere, schlechtere Karten aus der kolonialen Epoche Europas an die Stelle der Mercator-Karte gesetzt werden. Ihre gerundete Form stellt nicht nur einen Rückschritt in die Vor-Mercator-Zeit dar; alle diese Karten überkompensieren ihre gegenüber der Mercator-Karte größere Flächentreue durch ihre zusätzliche Bevorzugung Europas, das von ihnen in die Mitte der Karte gestellt wird und auf diese Weise die übrige Welt rund um Europa herum garniert.

Glücklicherweise hat Arno Peters nun unserer Epoche das Kartenbild gegeben, das uns der Sorge enthebt, zwischen der die Flächen der Länder und Kontinente unerträglich verzerrenden Mercator-Karte und dem größeren Übel der nichtlagetreuen und nichtachstreuen gerundeten Erdkarten mit flächentreuerer Abbildung wählen zu müssen. Die Peters-Karte erhält alle Vorzüge der Mercator-Karte (klares, rechteckiges Kartenbild, Achstreue, Lagetreue) und fügt ihnen die entscheidende Qualität absoluter Flächentreue hinzu. Damit vereinigt sie alle für eine Erdkarte wünschbaren und möglichen Kartenqualitäten, sie ist konstituierend für das neue Erdbild unserer Epoche.

Seit es Erdkarten gibt, haben die Menschen ihre eigene Heimat in die Mitte der Welt gerückt, letzter allgemeingültiger Ausdruck dieses subjektiven Weltbildes war die Mercator-Karte. Wir sind nun aber unwiderruflich eingetreten ins Zeitalter der Wissenschaft, das eines objektiven Weltbildes bedarf. Arno Peters hat es für den Bereich der Geographie geschaffen. Er hat uns mit seiner mutigen Tat aus der jahrtausendealten Last eines unwissenschaftlichen Erdbildes befreit. Wir können ihm dafür kaum dankbar genug sein.

Unterschrift
(Professor Dr. Pascual Jordan)
Ordinarius für Theoretische Physik
an der Universität Hamburg

 

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Datum der letzten Aktualisierung: 25. Januar 2001