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Der Kartograph

Der Kartographie als angewandter, eigenständiger Wissenschaft fällt die Aufgabe zu, aus den bekannten Abbildungsmöglichkeiten der Erdoberfläche den für den jeweils bestimmten Zweck geeigneten Kartennetzentwurf auszuwählen. Dabei ist die kartographische Brauchbarkeit für die Lösung der gestellten Aufgabe entscheidend. Die öffentliche Diskussion über die Erdkarte von Arno Peters die bisher weitgehend nur von Geographen geführt wurde, obwohl es sich hierbei wesentlich um eine kartographische Problemstellung handelt gibt Anlaß zu Überlegungen über die Abbildungsqualitäten von Erdkarten und deren Bedeutung für die kartographische Praxis.

Kartennetzentwürfe bilden die Grundlage zur Erstellung eines Koordinatensystems, um die Oberfläche eines Weltkörpers oder Ausschnitte davon nach mathematischen und graphischen Funktionen festzulegen und darzustellen. Mit zunehmender Größe der Abbildung von Teilen der Erdoberfläche gewinnt die Auswahl des Netzentwurfs an Bedeutung, und sie ist bei der Wiedergabe der gesamten Erdoberfläche erheblich.

Versuche, den Lebensraum des Menschen darzustellen, sind uns aus allen bekannten Epochen unseres eigenen Kulturkreises wie in fremden Kulturen bekannt. Um das Jahr 500 vor unserer Zeitrechnung wurde die Theorie von der Erdscheibe durch Pythagoras" Erkenntnis der Kugelgestalt unserer Erde abgelöst. Im Jahre 195 vor unserer Zeitrechnung führte Eratosthenes mit einfachsten Mitteln die erste einwandfreie Erdmessung durch. Nachdem im 15. Jahrhundert von Behaim der erste Globus geschaffen war, wurden die Probleme der Abbildung einer Kugel auf die Ebene relevant. Die ersten Gradmessungen zu Beginn der Neuzeit wurden 1525 von dem französischen Arzt Fernel vorgenommen und seit 1683 von Cassini über vier Generationen weitergeführt.

In den folgenden Jahrhunderten wurde eine große Anzahl von Abbildungsmöglichkeiten der Erde (Projektionen) erfunden, entwickelt, verworfen, verbessert, wieder erfunden und zum größten Teile niemals in die Praxis umgesetzt. Die Zahl der möglichen Entwürfe ist so groß, daß sich für ihre Katalogisierung Systeme entwickelt haben, ohne die eine Bestimmung nicht mehr möglich ist. Zum Verständnis der in diesem Gutachten zu behandelnden Erdkarte von Dr. Arno Peters (kurz "Peters-Karte" genannt) und ihrer fortschrittlichen Konzeption ist ein vereinfachter Überblick über die gebräuchlichen Netzentwürfe erforderlich: Diese Entwürfe werden nach der Art der Abbildungsfläche unterschieden in azimutale Abbildung, zylindrische Abbildung, konische Abbildung, und nach der Lage der Abbildungsfläche in normale Abbildung, transversale Abbildung, schiefachsige Abbildung. Ergänzend kennen wir echte und unechte Varianten, polykonische Abbildungen und Polyeder-Abbildungen, modifizierte und kombinierte Entwürfe. Zur Abbildung der Erdoberfläche stehen dem Kartographen mindestens 50 Entwurfsmöglichkeiten als Standardrepertoire zur Verfügung.

Keiner dieser vorliegenden Netzentwürfe kann aber die Kriterien der Winkeltreue und der Flächentreue gemeinsam erfüllen. Auch alle Modifizierungen der einen oder anderen Abbildung müssen gegenüber dem Globus soweit die ellipsoide Gestalt der Erde außer Ansatz bleibt Kompromisse in der Abbildungs-Verzerrung hinnehmen.

Bei der Beurteilung der Peters-Karte sind der winkeltreue Zylinderentwurf nach Mercator (G. Kremer) von 1569 und der Entwurf nach Winkel von 1913 von Interesse, weil es sich bei diesen Projektionen um die in unserer Epoche verbreitetsten Projektionen handelt:

Die Mercator-Projektion ist nur am Äquator längentreu. Durch das schnelle Anwachsen der Längenverzerrung (und der damit verbundenen Flächenverzerrung) ist dieser Entwurf für geographische Karten nicht sehr geeignet. Seine Maßstabsverhältnisse werden durch einen sogenannten "Äquatorialmaßstab" oder "Maßstab für wachsende Breiten" angegeben. Seine Bedeutung liegt bei der Herstellung von Seefahrerkarten, weil er Loxodrome als gerade Linien abzubilden erlaubt. Die starken Längenverzerrungen zu den Polen hin erschweren Streckenmessungen auf der Mercator-Karte erheblich, auch wenn sich diese Verzerrungen durch Anwendung der Indikatrix rechnerisch ausgleichen lassen. Dieser Netzentwurf spielt heute auch noch in Verbindung mit dem Ellipsoid (wobei der Zylinder nicht im Äquator berührt) in der höheren Geodäsie als Gauss-Krüger-Projektion eine überragende Rolle.

Der Winkel'sche Entwurf ist unter den "Mischkarten" einzureihen, bei denen aus der Kombination zweier Kartenentwürfe ein neuer Entwurf entsteht. Winkel veröffentlichte 1913 drei Mischkarten, wovon die eine das arithmetische Mittel zwischen Aitoff'schem Netz und abstandstreuem Zylinderentwurf mit zwei längentreuen Parallelkreisen darstellt. Bei diesem Entwurf sind sämtliche Parallelkreise leicht gekrümmt, nur der Äquator bildet eine Gerade. Obwohl der Winkel'sche Entwurf nicht flächentreu ist, hat er in der neueren kartographischen Produktion in Europa eine verhältnismäßig große Verbreitung gefunden. Gewisse vermittelnde Eigenschaften sind dem Winkel'schen Entwurf nicht abzusprechen, obwohl die Zunahme der Flächenvergrößerung vom Äquator zu den Polen hin erheblich ist. Der Entwurf zeigt eine gewisse Ausgeglichenheit der Erdteilformen, seine Eignung als Basis für physikalische Erdkarten ist erwiesen. Die entwurfsbedingte flächenmäßige Vergrößerung Europas kommt beim Winkel'schen Entwurf der europäischen Kartographie (als Mittelpunkt des kartographischen Schaffens) psychologisch entgegen. Zur weiten Verbreitung dieser Abbildung besonders bei didaktischen Kartenerzeugnissen hat vermutlich das visuell ansprechende Kartenbild sowie eine gewisse Kritiklosigkeit des Publikums beigetragen. Kartographischwissenschaftliche Kriterien, die zu einer Alleingültigkeit der Winkel'schen Erddarstellung berechtigen würden, sind das jedoch nicht.

Es gibt aber auch neben der Mercator-Karte und dem Winkel'schen Entwurf keine in Atlanten oder Wandkarten angewendete Erdkarte, die Winkeltreue mit Flächentreue verbindet. Die Vereinigung dieser beiden Netz-Eigenschaften wird jedoch zunehmend zum unverzichtbaren Kriterium bei der Beurteilung des Gebrauchswertes einer modernen Erdkarte. Die Gruppe der thematischen Karten, die schon in nächster Zukunft eine entscheidende Bedeutung bei der Sichtbarmachung weltweiter Vorgänge und ihrer Verflechtungen haben wird, kann nicht mehr ohne eine Erdabbildung auskommen, die zugleich winkeltreu und flächentreu ist. Je früher wir uns mit dieser Forderung vertraut machen, desto schneller werden wir die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und umweltschützenden Problemstellungen in weltweitem Zusammenhänge begreifen lernen, publikumsnah darstellen können und ihre Steuerung ermöglichen. Die heute tätige Kartographie ist gefordert, das kartographische Basismaterial zu entwickeln, mit dem international gemessen und gearbeitet werden kann. Keiner der uns Kartographen bekannten und historisch gewordenen Kartenentwürfe kann diese Aufgabe erfüllen oder kann so modifiziert werden, daß er dieser außerordentlich wichtigen Forderung gerecht wird. Hierzu ist meines Erachtens nur ein neuer Entwurf in der Lage, der die Grundlage für thematische Erdkarten bilden kann.

Der deutsche Universalhistoriker Arno Peters hat nun eine, in den letzten Jahren schnell bekanntgewordene Erdkarte geschaffen, in der neben ihrer Flächentreue die Grundzüge der Mercator-Karte bewahrt sind: Winkeltreue und klares Kartenbild.

Obwohl Peters durch ein von ihm geschaffenes Dezimalgradnetz zu seiner Karte gelangt ist, steht sein Netzentwurf in der Entwicklungsreihe, die von der Erdkarte des Eratosthenes (222 v. Chr.) über die rechtwinklige Plattkarte des Marinus von Tyrus (um 100) zu Al Idrisi (1194), zu Mercator (1569), zu Lambert (1772) und zu Behrmann (1910) führt. Das Kartenbild der Peters-Karte unterscheidet sich jedoch von Behrmanns Erdkarte nicht weniger als von allen übrigen bisherigen Erdkarten. Der Behrmann-Karte gegenüber zeichnet sie sich durch ihre Wohlproportioniertheit, die Klarheit ihres Kartenbildes sowie durch die Verlegung des formtreuen Bereichs aus der subtropischen Zone (Behrmann) in die gemäßigten Zonen (Peters) aus. Sieht man vom Konstruktionsprinzip ab, so kann man sagen, daß es keine Ähnlichkeit zwischen irgendeiner anderen Erdkarte und der Peters-Karte gibt. In dieser grundsätzlichen Neuheit des Peters'schen Erdbildes liegt offenbar eine fast unüberwindliche Hürde, die für Kartographen noch schwerer übersteigbar zu sein scheint, als für Schulen, Kirchen und Publizistik, die sich der Peters-Karte bereits zugewandt haben. Worin liegt nun dieses für den Kartographen Neue, Fremde?

Betrachtet man die heute bekannten Erdkarten, so fällt auf, daß alle außer der Peters-Karte die Äquatorialzone und die subtropischen Zonen fast formtreu abbilden und dafür Verzerrungen in den gemäßigten Zonen und in den Polargebieten in Kauf nehmen. Diese Verzerrungen treten bei den flächentreuen Karten (Sanson, Bonne, Lambert, Hammer, Behrmann, Goode) deutlicher in Erscheinung als bei den nicht flächentreuen (Mercator, van der Grinten, Winkel), obwohl sie dort nicht geringer sind. Die uns so formtreu erscheinende Mercator-Karte verzerrt Europa in der Höhe um 100 %" Grönland um 300 %" gleicht aber optisch diese Verzerrung der Höhe durch analoge Verzerrungen in der Breite aus, wodurch die Gesamt-Verzerrung sehr groß wird, bei gleichzeitiger Milderung der Form-Verzerrung. Bei den vermittelnden Erdkarten nimmt van der Grinten mehr Gesamtverzerrung in Kauf, Winkel mehr Formverzerrung.

Peters konnte wegen der Flächentreue seiner Erdkarte nicht die unerläßliche Höhenverzerrung durch eine zusätzliche Breitenverzerrung verdecken. Er hat es aber als erster gewagt, die Äquatorialzone um 100 % zu verzerren, um die Gesamtverzerrung der Karte gering zu halten. Da er sich die bereits von Marinus von Tyrus und Behrmann angewandte Verteilung der Verzerrungen auf vier Zonen (statt, wie auf allen sonstigen Erdkarten, auf zwei Zonen) zunutze machte, ist die Gesamtverzerrung seiner Karte günstig. Die gemäßigten Zonen sind formtreu, die Verzerrung nimmt dann nach Norden und

Süden hin gleichermaßen zu. Sie beträgt am Äquator und am Polarkreis 1:2, so daß Peters in den bewohnten Teilen der Erde nirgends eine Verzerrung von mehr als 100 % hinzunehmen hat.

Ob für diesen Vorteil der Mangel einer Verzerrung des auf allen übrigen Erdkarten formtreu dargestellten Aquatorialgebietes (Afrika und Südamerika) hingenommen werden kann, ist eine Entscheidung, die vom Kartographen getroffen werden muß. Das Ungewohnte des neuen Erdbildes sollte aber den Fachmann nicht länger von seiner Anwendung abhalten. Denn für die Verwendung der Peters-Karte ist auch der Umstand von Bedeutung, daß sie als einzige Erdkarte sowohl für die Darstellung aller klimabezogenen und aller zeitbezogenen wie auch aller größenbezogenen Aussagen geeignet ist. Dies kann die Mercator-Karte nicht leisten wegen ihrer fehlenden Flächentreue, die bisherigen flächentreuen Karten (Sanson, Bonne, Hammer, Goode) können es nicht leisten wegen ihrer fehlenden Lagetreue und wegen des Fehlens einer durchgängig lotrechten Nord-Süd Achse (also insgesamt wegen des Fehlens eines winkeltreuen Gradnetzes), und die vermittelnden Karten können es schließlich überhaupt nicht leisten, weil ihnen sowohl die Flächentreue wie die Winkeltreue des Kartennetzes fehlt.

Von allen heute gebräuchlichen Erdkarten vereinigt allein die Peters-Karte alle für die thematische Kartographie unerläßlichen Eigenschaften, damit ist sie als einzige Erdkarte zur Darstellung aller Karteninhalte gleichermaßen geeignet.

Bei der in unserer Epoche schnell zunehmenden Bedeutung der thematischen Kartographie sollten die Kartographen bei der Auswahl der von ihnen verwendeten Erdkarten prüfen, ob die Vereinigung aller dieser Vorzüge in einer einzigen Karte nicht den Nachteil eines Bruchs mit der konservativtraditionellen Darstellung Afrikas und Südamerikas wettmacht.

Die Peters-Karte entspricht in der Klarheit ihres Kartenbildes wie in der Winkeltreue ihres Kartennetzes der Mercator-Karte (bei der sich die Winkeltreue, wie bei Peters, auf die Rechtwinkligkeit ihres Gradnetzes reduziert), und sie hat deren entscheidenden Mangel beseitigt, indem sie diesen Qualitäten die in unserer Epoche unverzichtbare Flächentreue hinzufügte. Peters hat damit ein modernes Kartenbild der Erde geschaffen, das eine echte Chance verdient auch und gerade bei den Kartographen unserer Epoche.

Unterschrift
(Ing. Kart. Max Hann)
Chef Kartograph des Verlages IRO
und des Karl WenschowVerlages

 

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Datum der letzten Aktualisierung: 25. Januar 2001