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The economist
Was interessiert den politischen Ökonomen an einer Weltkarte?
1.
Politische Ökonomie ist eine vergleichende Wissenschaft. Sie fragt nach vergleichbaren
Wirtschaftspotentialen, nach Entwicklungs- und Verflechtungsgraden der in der
Weltwirtschaft koexistierenden Volkswirtschaften in Raum wie Zeit, sowie nach den
Hintergründen und Triebkräften gesellschaftlicher Entwicklung.
Die Weltkarte stellt für den Ökonomen ein Abbild der verfügbaren, erschließbaren
Märkte seiner Zeit dar, sein erstes Indiz für deren Größe, Aufnahmefähigkeit,
Standortvorteile und Nachteile. Weltkarten sind daher für den Ökonomen das buchstäblich
erste (wenn auch nicht erschöpfende) Orientierungsmittel für die Planung von Produktion,
Investition, Finanzierung, Bezug und Vertrieb von Gütern. So steht die Karte am Beginn
jeder wirtschaftlichen Tätigkeit überhaupt.
2.
Jede historische Weltkarte von Herodot über Ptolemäus, Mercator bis zu Arno Peters
stellt gleichzeitig das marktwirtschaftliche Gegenbild der bis dahin erforschten
Weltregionen dar. Sie beschreibt die Struktur (Rahmen und Ablauf) der in der
Entwicklungszeit der Karte betriebenen Weltwirtschaft, ihrer Schwerpunkte (Zentren) und
ihrer Peripherien (Zonen dünner Verflechtung).
Der Wechsel von der Ptolemäus-Karte zur Mercator-Karte steht für den Übergang vom
"Gemeinsamen Markt rund ums Mittelmeer" (mit seiner östlichen
Fernhandelsperipherie bis Arabien, Indien und China) zum "Gemeinsamen Markt rund um
den Nordatlantik" (mit seiner südlichen Fernhandelsperipherie bis in die kolonialen
Räume Lateinamerikas, Afrikas und Südostasiens). Jede dieser Karten stellte das
jeweilige Weltwirtschaftszentren (= Zone dichtester Verflechtung) überwertig dar, indem
sie es optisch in den Mittelpunkt rückte und kartographisch (= flächenmäßig)
verbreiterte.
Diese marktzentrische Technik wurde solange nicht als Tendenz empfunden, wie sie mit den
ökonomischen Realitäten harmonierte. Sowenig aber der "Kaufmann von Venedig"
nach Kolumbus" Experimentalbeweis von der Kugelgestalt der Erde und vom Vorhandensein
neuer und wichtiger Märkte in der Neuen Welt bereit war, mit der veralteten, unaktuell
gewordenen Ptolemäus-Karte sich zu begnügen, sowenig kann der Ökonom des ausgehenden
20. Jahrhunderts, das den Aufstieg der bisherigen Südperipherie zu einem neuen
Gravitationszentrum der Weltwirtschaft erlebt, mit der anachronistischen Mercator-Karte
leben. Durch ihre flächenmäßige Überbewertung des alten Nordzentrums der
Weltwirtschaft und der aus ihr folgenden Unterschätzung der
"Entwicklungsländer" entsteht ein optisch verzerrtes und damit auch ökonomisch
und realpolitisch falsches Bild der weltwirtschaftlichen Grundgegebenheit der Erde.
Der Kunstgriff der heute noch dominierenden Mercator Weltkarte bestand darin, die
navigatorisch unerläßliche Winkeltreue durch erhebliche Abstriche an der Flächentreue
der abgebildeten Regionen zu erzielen. Dieser Kunstgriff ist nicht mehr vertretbar in
einer Weltwirtschaft, in der die alten, dominanten Wirtschaftszentren ihre bisherigen
Peripherien als Bezugs wie als Absatzmärkte brauchen; - eine Abhängigkeit, die ständig
zunimmt und mit jedem Tag deutlicher in Erscheinung tritt.
Eine moderne, vor allem brauchbare Weltkarte muß somit das reale Flächengewicht der
ökonomischen Regionen so wirklichkeitsnahe wie möglich abbilden und dieser Forderung
notfalls die höchstspeziellen, unpolitischen wie unökonomischen navigatorischen Aspekte
unterordnen. Denn Weltpolitik und Weltwirtschaftspolitik sollten sich nicht auf alte
Seefahrer und Pilotenkarten stützen, an deren Stelle heute längst Spezialkarten getreten
sind!
Gottlob aber liegt in der modernen Peters-Karte ein Weltkartenmodell vor, das die
unerläßliche Flächentreue und damit die wirklichkeitsgetreue Gewichtung der einzelnen
Weltregionen ohne Abstriche an den Grundqualitäten der Mercator-Karte (Achstreue und
Lagetreue) verwirklicht. Sie stellt also, im Gegensatz zu allen übrigen
Erdkartenprojektionen nach Mercator (Mollweide, Winkel, van der Grinten, Robinson), deren
Weiterentwicklung dar und keineswegs einen Versuch, die Mercator-Karte ungeschehen zu
machen.
3.
Die Revolution der Verkehrs und Kommunikationsmittel läßt für immer mehr bewegliche
Wirtschaftsgüter den einen Weltmarkt entstehen, der längst die lokalen und nationalen
Standort-, Verwaltungs-, Rechts und Finanzierungsgrenzen sprengt. Wegen des rasanten
Rückgangs der spezifischen Transportkosten je Einheit und der weltweiten Transparenz der
Erlöschancen (Preise) integrieren sich immer mehr lokale, nationale und regionale
Teilmärkte zu einem produktspezifischen und nahezu totalen Weltmarkt; ein Prozeß, der da
am weitesten fortgeschritten ist, wo ein homogenes, überall produzierbares Gut angeboten
wird, beispielsweise der internationale Kredit. Weil Kredite weltweit, in einem 24 Stunden
Service rund um den Globus ("ubiquitär") zu einem dank der weltweiten
Börsentransparenz auch annähernd welteinheitlichen Preis (Zins) zu haben sind, dominiert
das internationale Geschehen das nationale.
Der internationale Markt der Finanzierungen steht nur als Beispiel für ein allgemeines
Prinzip: Die Weltwirtschaft bestimmt mit wachsender Integration der Einzelmärkte den
Planungs- und Handlungsspielraum der nationalen Ökonomen, unabhängig davon, ob sie als
Unternehmer, Politiker oder Forscher arbeiten.
Eine möglichst exakte Kenntnis des Wirtschaftspotentials und der Entwicklungsgrade der
übrigen Volkswirtschaften ist daher für die eigene politische und ökonomische
Standortbestimmung unerläßlich. Zwar läßt sich dieses Wissen nicht aus einer richtigen
Karte des weltwirtschaftlichen Umfeldes allein gewinnen. Aber keine Inventarisierung von
Ressourcen, Marktchancen und denkbaren Bezugs- und Absatzmärkten kann auf die
flächentreue Karte verzichten.
Alles betriebswirtschaftliche wie volkswirtschaftliche Planen und Handeln ist heute und in
Zukunft nur bei Kenntnis des weltwirtschaftlichen Daten und Einflußmöglichkeiten
möglich. Dies setzt voraus, daß man die Weltwirtschaft auch vom Potential her richtig
erfaßt, wie es die Peters-Karte tut. Nur dann wird sie als Risiko wie Chancenfaktor
kalkulierbar.
4.
Das deutsche Entwicklungshilfe Ministerium (Ministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit) legt die, das Wirtschaftspotential aller Weltregionen der Fläche und der
Lage nach richtig, also vergleichbar abbildende Peters-Karte allen entwicklungspolitischen
Entscheidungen zugrunde. Mit Recht: Denn nur auf der Peters-Karte kommt das geopolitische
und geoökonomische Gewicht der zwischen den beiden Wendekreisen angesiedelten
"Dritten Welt" voll zum Ausdruck.
Der Bundesminister für Verteidigung hat im neuen Weißbuch zur Sicherheit der
Bundesrepublik die militärische Bündnislage erstmals auf der Peters-Karte dargestellt.
Auch daraus ergibt sich ein ganz anderes, echteres Bild der strategischen Situation.
Die kartographische "List der Vernunft": Die Peters-Karte legt die
unvermeidlichen Formverzerrungen in die am wenigsten bewohnten Erdgebiete (Polar und
Äquatorialzonen) und neutralisiert sie dadurch in den beiden bevölkerungsreichen
Erdgürteln (= gemäßigte Zonen). Und dies ist mehr als eine kosmetische Operation des
herkömmlichen Weltgesichts. Die Peters-Karte zeigt die Welt nicht nur die "Dritte
Welt" wie sie wirklich ist: Die "südlichen Peripherien" der Mercator-Karte
sind heute und erst recht morgen der eigentliche Mittel oder Schwerpunkt der
Welt(wirtschaft), wie auch der weltpolitischen Auseinandersetzung, was erst auf der
Peters-Karte voll in Erscheinung tritt. Denn die seit Ausgang der Renaissance
dominierenden nördlichen Welt(wirtschafts)zentren (Westeuropa, Nordamerika) sind in
Wahrheit das, als was sie auf der Peters-Karte, zum Kummer vieler traditioneller
Kartographen, dargestellt sind: Geographische, wenn auch nicht geopolitische und
geoökonomische Randzonen.
5.
Nicht zuletzt macht die Peters-Karte auf einen Blick deutlich, daß das Phänomen
wirtschaftliche Entwicklung historisch wie ökonomisch etwas mit Lage, Klima,
Sonneneinstrahlung und Temperatur zu tun hat, eine Erkenntnis, die ganz wesentlich dazu
beiträgt, Vorurteile von der Überlegenheit bestimmter Rassen, Kulturen und
Gesellschaftssysteme in Frage zu stellen. Karten, denen diese wichtige Qualität der
Lagetreue fehlt (wie die van der Grinten-Karte und die Winkel-Karte) versperren daher
ihren Benutzern die Einsicht in die wahren Hintergründe und Triebkräfte
gesellschaftlicher Entwicklungen. Sie sind deshalb zur Darstellung sozialer und
ökonomischer Prozesse noch ungeeigneter als die Mercator-Karte.
Alles in allem: Die Peters karte ist durch Unterrichtung darüber, wie wenig das
Entwicklungsgefälle in der Welt(wirtschaft) bisher ausgeglichen werden konnte und wie
sehr es gleichzeitig von außerökonomischen Faktoren abhängt, geeignet, eine Fülle von
Vorurteilen und Fehlurteilen in den klimatisch begünstigten Breiten der Welt abzubauen.
Als nüchterne, allgemeinverständliche Demonstration dieses wohl brisantesten Problems
der modernen Menschheit und ihrer Wirtschaft schärft die Peters-Karte das Bewußtsein
hierfür und stärkt so die allgemeine Bereitschaft, es endlich zu lösen, ehe es dafür
zu spät sein könnte.
Unterschrift
(Prof. Dr. Wilhelm Hankel)
Lehrstuhl für Wirtschaftswissenschaft
an der Universität Frankfurt
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Date of last amendment: 25. Januar 2001