Der Didaktiker
Die didaktische Bedeutung der Karte für unterrichtliche Zwecke hat sich ebenso gewandelt
wie das Bildungsverständnis der Schulgeographie überhaupt. Als Hilfsmittel der
Länderkunde diente sie früher vorwiegend der Orientierung, die Atlanten waren durch
einen überwiegenden Anteil topographischer Karten gekennzeichnet. Aber die
Schulgeographie hat sich inzwischen Problemen zugewandt, die sich aus Zusammenhängen und
Wechselwirkungen räumlich verbreiteter Erscheinungen ergeben. So werden in immer
stärkerem Maße thematische Karten eingesetzt, die als Träger ausgewählter
Rauminformationen eigene Zeichensysteme über die zur Orientierung benötigte
topographische Grundlage legen. Dies gilt besonders beim Einsatz von Erdkarten, die
umweltgestaltende Zusammenhänge natürlicher, wirtschaftlicher, politischer und
kultureller Kräfte übersichtlich aufzeigen und weltweit einsichtig machen.
Allgemein gilt der Globus als das ideale Abbild der Erde. Doch wenn wir auf dem Globus ein
bestimmtes Land betrachten, drehen wir ihn soweit, bis das Land in der Mitte unseres
Blickfeldes steht. Scharf erkennen wir dann nicht einmal die halbe Erde, sondern nur den
uns dann am nächsten liegenden zentralen Bereich der uns zugekehrten Globushälfte,
dessen Krümmung innerhalb der Schärfentiefe liegt, auf die unsere Augen adaptieren. Was
außerhalb dieses zentralen Bereiches liegt, vermögen wir bei gleicher Adaption nicht
mehr scharf zu erkennen, und wir müssen den Globus erst weiterdrehen, wenn wir einen
neuen Teil der Erdoberfläche betrachten wollen. So fällt uns die nach außen, zum
Globusrande hin zunehmende Verzerrung nicht auf, die sich aus der jeweiligen Perspektive
ergibt. Die relativ kleine zentrale Fläche, die unser Auge scharf erfaßt, erscheint uns
trotz ihrer Rundung eben. Aus solchen, fast ebenen Fixationsflächen prägen sich uns
Umrißformen ein. So entstehen im visuellen Gedächtnis formtreue Vorstellungen. Diese
Formtreue schließt auch Flächentreue ein, weil der Globusmaßstab über die ganze
Kugeloberfläche konstant ist, sie schließt auch Achstreue und Lagetreue ein, weil der
Bezug zur ganzen Kugel und ihrer Achsdrehung stets im Unschärfebereich sichtbar bleibt.
Aber unser Globusbild ist eine Fiktion, ein Mosaik von flächigen Teilbildern, die erst
durch die Drehung in einen räumlichen Zusammenhang gebracht und zu einem Ganzen gefügt
werden. Es ist also wesentlich von der Drehung geprägt und von ihr nicht zu lösen.
Kein Kartenbild vermag diese auf der Globusdrehung nicht weniger als auf seiner
Kugelgestalt beruhende Vorstellung zu vermitteln. Die Weltkarte ist aber auch etwas
grundsätzlich anderes als der Globus, und nichts geringeres, denn sie gibt in Wahrheit
mehr als der Globus: Erst die Weltkarte bietet die gesamte Erdoberfläche (also auch die
Rückseite des Globus) für die Wahrnehmung übersichtlich in einer einzigen
Betrachtungsebene, auf einen einzigen Blick dar. Sie kann und soll nicht die
Kugelvorstellung verebnen, sondern sie soll ein zusammenhängendes, wirklichkeitsnahes,
harmonisches Bild der Erdoberfläche geben. Dies entspricht auch der unmittelbaren
Wahrnehmung des Menschen, der die Erde ungeachtet seines Wissens um ihre Kugelgestalt
tatsächlich als Fläche erlebt.
Erdkarten mit gerundeten Meridianen und Breitenkreisen sind deshalb falsche
Kartenprojektionen. Der Versuch, die Kugelgestalt der Erde auf elliptische oder
ellipsenähnliche Kartenflächen zu übertragen, wird meist damit begründet, daß die
Ellipse in Verbindung mit dem gekrümmten Gradnetz der Vorstellung einer Kugelgestalt am
nächsten käme. Aber das ist ein Irrtum, dem nur deshalb nicht widersprochen wird, weil
er sich zur vorherrschenden Meinung entwickelt hat. In Wirklichkeit hat die Vorstellung
der Kugelgestalt der Erde mit einem gekrümmten Kartennetz nichts zu tun, sie wird dadurch
wahrnehmungspsychologisch nicht gefördert sondern eher gestört.
Auch vermittelnde Karten sind, wenn man sie unter wahrnehmungspsychologischem Aspekt
bewertet, unbrauchbar: sie lehren Falsches und erschweren die notwendigen gedanklichen
Korrekturen, der die Wahrnehmung bei der Betrachtung jedes Kartenbildes unterzogen werden
muß. Denn die didaktisch vorrangige Flächentreue fehlt den vermittelnden Karten ebenso
wie Achstreue und Lagetreue.
Selbst Satellitenbilder können die der Erdkarte zufallende Aufgabe einer
zusammenhängenden Darstellung der ganzen Erdoberfläche nicht erfüllen. Es fehlt jedem
Satellitenbild insgesamt die in seinem Mittelpunkt gegebene Formtreue, Flächentreue,
Achstreue und Lagetreue.
Kritische Betrachtung der vorliegenden Erdkarten muß davon ausgehen, daß es
grundsätzlich unmöglich ist, den dreidimensionalen Kugelmantel der Erde auf der
zweidimensionalen Kartenebene flächentreu, winkeltreu, entfernungstreu und formtreu
abzubilden. Formtreue und Entfernungstreue gehen bekanntlich bei der Verebnung der
Kugeloberfläche notwendig verloren. Bisher galt es nun aber als Axiom der Kartographie,
daß Flächentreue und Winkeltreue grundsätzlich erhaltbar, nicht aber gleichzeitig in
einem Kartennetz zu erreichen seien: Entweder sei ein Kartennetz winkeltreu, dann könne
es nicht flächentreu sein, oder es sei flächentreu, dann könne es nicht winkeltreu
sein.
Winkeltreue und Flächentreue schlossen sich deshalb bisher in den Karten unserer Atlanten
und in den Wandkarten aus. Erst die Projektion des Historikers Arno Peters hat dieses
Dilemma weitgehend überwunden. Das Netz der Peters-Karte ist flächentreu und durch ihr
rechtwinkliges Gradnetz zugleich winkeltreu. So entspricht jeder beliebige
Quadratzentimeter der Peters-Karte dem für die ganze Karte verbindlichen
Flächenmaßstab. Dadurch werden alle Teile der Erdoberfläche in ihrem realen
Größenverhältnis dargestellt, auch so direkt vergleichbar. Der Äquator liegt in der
Kartenmitte, es stimmen mit den Haupthimmelsrichtungen weltweit auch die
Lageverhältnisse: alle Orte gleicher geographischer Breite liegen auf einer Waagerechten,
alle Orte gleicher Länge auf einer Senkrechten. So ist neben der Flächentreue die bei
jeder vergleichenden räumlichen Darstellung für die thematische Kartographie
unverzichtbare Lagetreue auf der Peters-Karte ebenso erhalten wie die für die allgemeine
Orientierung so wichtige Achstreue, durch die eine klare Nord-Süd Orientierung für jeden
beliebigen Punkt der Erde gesichert ist und die Gebiete gleicher Uhrzeit senkrecht
übereinander liegen. Die unvermeidliche Formverzerrung ist im Vergleich zu anderen
Projektionen durch die Peters-Projektion erheblich verringert worden. Während sie auf
anderen Erdkarten bis zu 200 oder 300 % beträgt, kommt die Peters-Karte in den bewohnten
Gebieten der Erde mit höchstens 100 % aus, denn sie verteilt die unvermeidlichen
Formverzerrungen auf vier statt, wie auf allen bisher gebräuchlichen Atlas und
Wandkarten, auf zwei Zonen. Die am dichtesten besiedelten, hochindustrialisierten Räume
der gemäßigten Breiten haben auf der Peters-Karte ihre bestmögliche Darstellung
erhalten; so ist auch ganz Europa auf seiner Karte fast wirklichkeitstreu, die Mitte
Europas ist durch absolute Formtreue ausgezeichnet. Zum Äquator hin nimmt die
Längenverzerrung in gleichem Maße zu (bis zum Verhältnis 1:2), wie zu den Polen hin die
Breitenverzerrung, (die am Polarkreis dann auch das Verhältnis von 1:2 erreicht).
Insgesamt ist die unvermeidliche Formverzerrung also auf ein minimales Maß reduziert
worden. Aber gerade in diesem Neuen der Peters-Karte, die bewußt eine 100 %ige
Formverzerrung am Äquator in Kauf nimmt, um auf dem flächen- und winkeltreuen Kartennetz
die formtreue Abbildung der am stärksten besiedelten gemäßigten Zonen zu erreichen,
liegt ein Hindernis dafür, daß sich die Erdkarte sogleich ihrem Range gemäß verbreitet
hat. Daß die polnahen Regionen verzerrt sind, stört eigentlich niemanden, weil man dort
an noch stärkere Verzerrungen gewöhnt ist. Aber daß Afrika und Südamerika so lang
geraten sind, steht im Widerspruch zur gewohnten Vorstellung von der Form dieser Erdteile.
Verstärkt wird das Irritierende der neuen Erdkarte noch dadurch, daß sie Europa und
damit Deutschland nicht mehr wie gewöhnlich in der Kartenmitte zeigt, sondern dort, wo es
wirklich liegt, nämlich im nördlichsten Viertel der Erde, und vor allem dadurch, daß
sie es so klein zeigt, wie es wirklich ist. Die Peters-Karte steht insbesondere dadurch im
Widerspruch zu unserem überkommenen Weltbild, daß sie auch die sogenannte "Dritte
Welt" in ihrer wirklichen Größe abbildet (wodurch sie an Fläche eindeutig
vorherrscht) und sie zudem an ihren wirklichen Ort in der Mitte der Karte gerückt hat
(wodurch sie nun einen weltbeherrschenden Platz erhalten hat, während wir uns selbst an
den Kartenrand gerückt sehen).
Aber gerade in diesem Widerspruch zum gewohnten Kartenbild liegt ein zusätzlicher
didaktischer Wert der Peters-Karte. Sie ist in ihrer Ehrlichkeit geeignet, unser in der
Tat falsches Weltbild zu korrigieren. Unter den gegenwärtigen weltpolitischen und
weltwirtschaftlichen Verhältnissen ist es erzieherisch nicht mehr verantwortbar, die
junge Generation einseitig an Kartenbilder zu gewöhnen, die falsche Größen und
Lagevorstellungen erzeugen. So zeigen die mercatorähnlichen vermittelnden Projektionen
eine Welt, in der die hochindustrialisierten Staaten der nördlichen gemäßigten Zone die
obere Kartenhälfte beherrschen und insgesamt größer erscheinen als der ganze Rest der
Welt, obwohl dieser "Rest der Welt" zwei Drittel der Landfläche unserer Erde
ausmacht. Aber auch jeder Einzelvergleich auf diesen Karten vermittelt eine
Desinformation, stärkt unser falsches, europazentrisches Weltbild. Frankreich erscheint
so groß wie Ägypten, ist aber nur halb so groß. Die Sowjetunion wird etwa doppelt so
groß dargestellt wie Afrika, ist aber tatsächlich um ein Viertel kleiner. Europa
erscheint so groß wie Südamerika, hat aber nur die Hälfte an Fläche. Island wird
senkrecht über Irland gezeigt, liegt aber nordwestlich davon. Bei vielen Karten liegt
auch der Äquator (wie bei Mercator) im unteren Kartendrittel, wodurch Europa ins Zentrum
der Karte gerät und die von der falschen Vergrößerung der Fläche noch verstärkte
Vorstellung einer zentralen Lage Europas in der Welt geprägt wird. Flächentreue und die
aus der Winkeltreue des Netzes sich ergebende Lagetreue und Achstreue fehlen heute noch
allen Schulwandkarten und allen Atlaskarten, auch in den Schulatlanten. Besonders
gravierend wird die geographische Fehlerziehung durch den Einsatz der alten falschen
Karten in den Massenmedien, wie in den Nachrichtensendungen des Fernsehens und in den
Zeitungen.
Nun besitzen wir seit einigen Jahren eine Erdkarte, die alle diese Mängel nicht hat: Die
Peters-Karte zeigt die Welt flächentreu, lagetreu und achstreu. Damit ist sie auch
besonders geeignet für thematische Darstellungen, die einen immer breiteren Raum in der
geographischen Erziehung einnehmen.
Auch für statistische Darstellungen ist die Peters-Karte gut geeignet, weil die
Flächentreue und Winkeltreue ihres Netzes die Aufteilung in gleich große Netzmaschen
gleichen Flächeninhalts erlaubt. Da quantitative Methoden in der Geographie, Ökonomie,
Politologie, Soziologie usw. immer mehr an Bedeutung gewinnen, kann auf diese
flächentreue und zugleich lage- und achstreue Erdkarte nicht mehr verzichtet werden.
Es gilt, geschichtlich begründete Verfälschungen unserer Weltvorstellung zu korrigieren.
Es gilt, die Welt so zu sehen, wie sie ist. Es gilt, den eigenen Lebensraum auf der Erde
in richtiger Beziehung zu anderen einzuordnen. Die Erdkarte von Arno Peters ist hierfür
das geeignete Medium.
Unterschrift
(Adolf Witte)
Professor für Allgemeine Didaktik
an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch-Gmünd
Leiter der Schulpraktischen Ausbildung
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Datum der letzten Aktualisierung: 25. Januar 2001